“Es braucht Mut, sich neu zu erfinden.”

Die #glaubandich Geschichte von Yana Barinova

    

Von der Leitung der Kulturabteilung in Kiew zum Wiederaufbau der Zukunft der Ukraine von Wien aus: Yana Barinova bewältigt die Vertreibung aus ihrer Heimat mit aktivem Engagement. Fast drei Jahre nach ihrer Flucht vor russischen Raketen, die später ihre Wohnung in Kiew zerstörten, leitet sie nun in der ERSTE Stiftung die Initiativen mit Fokus Ukraine und engagiert sich für die Erhaltung und Stärkung der demokratischen, europäischen Zukunft ihres Heimatlandes. 

© Valeria Maltseva

Dein Leben hat sich Anfang 2022 dramatisch verändert. Was war seit damals dein wichtigster #glaubandich Moment?  

Die ersten Monate haben mir alles abverlangt, was ich geben konnte. Ich hatte gerade meinen Traumjob bei der Stadtverwaltung von Kiew angenommen und war in eine frisch renovierte Wohnung umgezogen. Als der Krieg ausbrach, wurde mir brutal klar: Kein Ort in der Ukraine ist sicher genug für meine Tochter. Wegzugehen bedeutete, mein Zuhause, meine Karriere – alles, von dem ich geträumt hatte – hinter mir zu lassen. Rückblickend war es die richtige Entscheidung – russische Raketen haben später meine Wohnung in Kiew dem Erdboden gleichgemacht. Mein zweites Zuhause Mariupol wurde zerstört und ist jetzt von der russischen Armee besetzt – wir haben alles verloren, auch Familienfotos voller Erinnerungen. 

Viele vertriebene Ukrainer:innen kämpfen damit, sich im Ausland ein neues Leben aufzubauen. Wie hast du das geschafft?

Als ich nach Wien kam, hatte ich viele Vorteile, die viele andere nicht hatten: einen Job bei der ERSTE Stiftung und Freunde in Österreich. Aber auch mit diesen Privilegien brauchte es eine enorme innere Stärke, um mich neu zu erfinden. Neuanfänge sind immer beängstigend, besonders wenn sie einem aufgezwungen werden. Man muss den Mut aufbringen, Abschied von seinem früheren Leben zu nehmen und loszulassen. Ich traf die Entscheidung, mich auf alles Neue einzulassen und mich von neuen Erfahrungen formen zu lassen, statt mich ihnen zu widersetzen. Ich habe mich neu erfunden, um das Beste aus den Gegebenheiten und Möglichkeiten zu machen, die sich mir bieten. 

In Österreich führst du ein geregeltes Leben – du gehst zur Arbeit, triffst Freunde, genießt die Stadt – und bleibst gleichzeitig eng mit der Ukraine im Kriegszustand verbunden. Wie schaffst du den Spagat zwischen zwei so unterschiedlichen Realitäten?

Es fühlt sich oft an, als würde ich zwei verschiedene Leben führen. Meine Arbeit hilft mir, mit der Situation umzugehen. Ich setze alles daran, positive Veränderungen für die Ukraine zu bewirken. Heute bin ich überzeugt, dass ich durch meine Rolle bei der ERSTE Stiftung den größten Einfluss auf die Zukunft meines Landes nehmen kann.

Deine persönlichen Erfahrungen haben auch dazu beigetragen, dass Menschen aus der Ukraine in Österreich Hilfe bekommen, richtig?

Ja, das stimmt. Über die ERSTE Stiftung haben wir das Programm Professional Integration Hub ins Leben gerufen, bei dem wir mit mehr als 24 führenden österreichischen Institutionen zusammenarbeiten, um dreimonatige Praktika für weibliche Fachkräfte anzubieten, die aus der Ukraine flüchten mussten. Das Lesen hunderter Bewerbungen hat mir die Augen geöffnet – talentierte Regisseurinnen, Managerinnen, Umweltexpertinnen – alles Frauen, die trotz ihrer beeindruckenden Karriere Schwierigkeiten haben, hier Fuß zu fassen. Wir helfen ihnen, einen beruflichen Rückschritt zu vermeiden und stattdessen Möglichkeiten zu finden, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Davon profitieren nicht nur die Teilnehmerinnen am Programm, sondern auch die Firmen und Institutionen in Österreich.

Was bedeutet deine Arbeit bei der ERSTE Stiftung für die Zukunft der Ukraine?

Ich sehe mich als Brückenbauerin, die den Weg nach Europa ebnet – indem ich Stakeholder zusammenbringe, den Dialog fördere und Ideen in konkrete Projekte umsetze. In drei Jahren haben wir ein solides Unterstützungssystem für die Zukunft der Ukraine aufgebaut. Die direkte Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern und Basisorganisationen zeigt bereits konkrete Wirkung. Wenn ich mir die Menschen und Projekte anschaue, die wir unterstützt haben, fühlt sich das fast wie ein Märchen an. Und im Gegensatz zu vielen anderen Initiativen ist das kein vorübergehendes Projekt – die ERSTE Stiftung ist eine der wenigen Organisationen, die den Wiederaufbau der Ukraine systematisch, langfristig und mit echtem Engagement unterstützt. Unsere wichtigsten langfristigen Projekte zur Unterstützung der Ukraine sind Policy Labs, die Kyiv Media SchoolNext Visionaries, das Civil Society Leadership Programme for Ukraine und das Mobile Education Projekt für Fachkräfte im Kreativ- und Kultursektor.

Mehr Informationen über das Ukraine-Programm der ERSTE Stiftung.

Was motiviert dich bei deinem Engagement?

Ich bin eine Träumerin! Mit Unterstützung der ERSTE Stiftung kann ich auch anderen helfen, sich die Zukunft der Ukraine vorzustellen. Ohne Träume und Visionen hätte die Ukraine schon verloren. Die Ziele von Russland sind nicht nur territorial – sie wollen unsere Identität auslöschen, unsere Kultur vernichten und unsere Träume für die Zukunft zerstören. Die ERSTE Stiftung ist zu einer Plattform geworden, auf der wir uns die Zukunft der Ukraine vorstellen und mit dem Aufbau beginnen können, selbst in diesen schwierigen Zeiten.

Warum sollten die Menschen in Österreich und Europa die Ukraine unterstützen? Welche Vorteile siehst du darin für beide Seiten?

Wir sind Teil der Zukunft Europas – durch Demokratie, Wohlstand und Frieden in der Ukraine wird ganz Europa stärker und sicherer. In Österreich spürt man das vielleicht weniger, aber in der Slowakei, in Tschechien, Polen oder dem Baltikum ist das sehr deutlich zu erkennen.

Natürlich geht es nicht nur um die Unterstützung der Ukraine durch Europa, sondern auch darum, was die Ukraine für Europa bedeutet. Das Besondere an der Ukraine ist, dass wir unsere Institutionen trotz des Krieges laufend neu denken und wiederaufbauen. Wir fördern transformative Partnerschaften zwischen der Zivilgesellschaft und dem privaten und öffentlichen Sektor, die nach dem Krieg die Grundlage für moderne Institutionen in der Ukraine sein werden.  

Diese Kooperationsmodelle können ganz bestimmt der Ausgangspunkt für europaweite Innovationen sein. Die Ukraine ist auch zu einem Zentrum geworden, an dem innovative Praktiken in Echtzeit getestet und entwickelt werden. Gleich ob digitale Regierungsführung, zivilgesellschaftliches Engagement oder die prompte Reaktion auf Herausforderungen: die Ukraine dient als Pilotprojekt für Lösungen, die auch für europäische Probleme genutzt werden könnten. 

Außerdem bringt die Berücksichtigung ukrainischer Stimmen und Erfahrungen im europäischen Diskurs neue Perspektiven in die politische Debatte ein. Ich bin überzeugt, dass unsere Lösungen, die aus Notwendigkeit und Resilienz entstehen, dazu beitragen können, gemeinsame europäische Herausforderungen zu bewältigen.

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